Krysta

Es war einmal ein Weib namens Krysta, das den ganzen Tag ihren Mann Jorge bekeifte, sobald sie seiner ansichtig wurde. Kam Jorge zum Beispiel mit einem fröhlichen guten Morgen in die Küche um zu frühstücken, so antwortete sie unfreundlich: Geht das schon wieder los, und dann hörte sie gar nicht mehr auf zu nörgeln und zu schimpfen, bis Jorge die Küche und das Haus verließ. Und selbst vor dem Haus hörte Jorge Krysta noch durch die geschlossenen Fenster giften und er dachte mehr als einmal dabei: ich wünschte, ich wäre taub, um sie nicht mehr zu hören. Aber Jorge wurde nicht taub. Stattdessen versuchte er, je mehr Zeit verstrich, einfach nicht mehr hinzuhören und er redete auch kaum mehr etwas mit der Frau, um sie nicht herauszufordern und seine Ruhe zu haben.

Solange Jorge morgens zur Arbeit ging und erst abends spät zurückkehrte, ertrug er das unsägliche Gekeife seiner Frau, das sich mit den Jahren ständig verschlimmerte. Meine Alte ist krank im Kopf, dachte er, kein vernünftiger Mensch gibt von früh bis spät ein solch unsinniges Gebrabbel von sich, das kann nicht normal sein. Und obwohl er oft genug deswegen zornig wurde und den Wunsch verspürte, sie wegen ihres ewigen Gezeters und der damit verbundenen Demütigungen zu verlassen, so blieb er doch bei ihr und ertrug alles mit stoischer Gelassenheit, denn er war ein von Grund auf guter Mensch.

Im ganzen Haus entwickelte sich mit der Zeit eine unglückliche Atmosphäre, es schien, als ob die Luft darin dicker wäre als anderswo. Wer zu Besuch kam, dem fiel bald das Atmen schwer und er ging schließlich bedrückt nach Hause ohne zu ahnen warum und so verloren Krysta und Jorge bald alle Freunde und auch die Nachbarn blieben fern.

Die Jahre gingen ins Land.

Jorge wurde älter und auch sein Weib wurde älter und dabei so hässlich, als habe sich ihr inneres nach außen gekehrt. Ihre Lippen waren, wenn sie den Mund schloss, dünn geworden wie Striche und die Mundwinkel in einem Halbkreis nach unten gebogen. Krystas Augen waren ausdruckslos schwarz und ihre Zähne braun. Wahrhaftig, sie war, anders als in ihrer Jugend, kein schöner Anblick mehr.

Als Jorge alt geworden war und nicht mehr zur Arbeit gehen musste, hatte er wenig Möglichkeiten, dem ständigen Gezeter zu entrinnen. War das Wetter gut, floh er in den Garten, der das Haus umgab und pflanzte oder goss Blumen. Er jätete das Unkraut oder saß einfach nur auf der Bank unter dem Holunderbaum. Er ging stundenlang im nahen Wald spazieren, wo es still war und er sich ein wenig erholen konnte. Im Winter jedoch, die Winter waren hart und kalt in Jorges Heimat und es fiel sehr viel Schnee, da verließ Jorge das Haus nur selten und war Krystas Keifen von früh bis spät ausgesetzt. Und so dachte er immer öfter, wie früher als er noch ein junger Mann war: Ich wünschte ich wäre taub und müsste das alles nicht mehr hören. Und abends legte er sich früh zu Bett und betete: Lieber Gott, wenn es dich wirklich gibt, mach dass ich morgen früh meine Frau nicht mehr höre. Aber wenn der Morgen kam, hatte sich nichts geändert und alles war wie immer.

Am Abend vor Jorges zweiundsiebzigstem Geburtstag, der Tag war wieder besonders unerträglich gewesen, da sagte Jorge zu Gott, wenn ich morgen früh nicht taub bin, werde ich Krysta verlassen, ich kann das alles nicht mehr ertragen, ich gehe zugrunde, wenn ich noch länger bleibe. Gibt es dich, so hilf mir bitte. Amen. Jorge war in diesem Augenblick fest entschlossen, fortzugehen.

In dieser Nacht träumte Jorge, er säße im nahen Wald auf einem frisch gefällten Kieferstamm. Er hörte ein Geräusch und dachte es wäre ein Tier, doch es war eine Fee, kaum eine Elle hoch, die auf dem Stamm auf ihn zutänzelte, in einem hübschen weißen Kleidchen. Jorge glaubte seit seiner Kindheit an die Existenz von Feen und Elfen in den Wäldern und er wunderte sich nicht über die Erscheinung. Grüß dich Jorge, sagte die Fee lächelnd, du hast Geburtstag heute. Deshalb habe ich dir ein Geschenk mitgebracht.

Jorge sah sie an. Er wusste genau, dass er träumte. Der Traum gefiel ihm, weil es darin so ruhig und schön war und die Fee gekommen war und er fragte sie: Was für ein Geschenk denn, ich habe schon lange kein Geschenk mehr erhalten.

Drei Wünsche, sagte die Fee. Ich habe dir drei Wünsche mitgebracht.

Ich habe seit langem nur einen Wunsch, antwortete Jorge, aber den kann mir wohl nicht einmal Gott erfüllen.

Lass hören, sagte die Fee.

Ich wünschte, ich wäre taub und müsste das Gekeife meiner Alten fortan nicht mehr hören.

Ein seltsamer Wunsch, sagte die Fee stirnrunzelnd, aber er sei dir erfüllt. Nenne mir die anderen beiden Wünsche.

Ich habe keine anderen Wünsche, sagte Jorge, nur diesen einen. Die beiden anderen Wünsche schenke jemandem, der sie besser gebrauchen kann als ich.

Bist du sicher, fragte die Fee zweifelnd.

Ganz sicher, sagte Jorge. Im Dorf unten gibt es einen jungen Mann, der ist schon lange krank und wünscht sich nichts sehnlicher als endlich gesund zu werden, geh zu ihm und schenke ihm meinen Wunsch und den zweiten noch dazu wenn du magst.

Nun gut, sagte die Fee. Denk noch einmal darüber nach, Wünsche verschenkt man nicht so einfach.

Ich schon, sagte Jorge, ich brauche nicht darüber nachzudenken.

So sei es, antwortete die Fee und verschwand. Und auch der Traum löste sich auf.

Als Jorge nach dem Aufstehen die Stube betrat hockte Krysta schon auf dem alten Sofa und blätterte in einer Zeitung. Kaum sah sie Jorge, da öffnete sie ihren Mund, nicht etwa um ihm zum Geburtstag zu gratulieren, sondern um ihn zu beschimpfen. Jorge sah, wie sich ihre Lippen bewegten, er konnte einige Worte erkennen, die sie ihm entgegenschleuderte, aber welches Wunder, er hörte nichts.

Mein Wunsch hat sich erfüllt, dachte Jorge erstaunt. Der nächtliche Traum fiel ihm wieder ein. Danke Gott, sagte er im Stillen, dass du mich endlich taub gemacht hast und ich fortan das Gezeter nicht mehr hören muss. Und während er dies dachte, beobachtete er Krysta, sah wie sie ununterbrochen den Mund öffnete und schloss. Er ging in die Küche, kochte sich Kaffee, schmierte sich ein Marmeladenbrot und während er es aß schaute er seine Alte an, die ihm gefolgt war und sich auf den Stuhl gegenüber gesetzt hatte. Er sah sie tonlos keifen und geifern und genoss die ungewöhnliche Stille. Noch nie hatte ihm das Frühstück besser geschmeckt als heute.

Als Jorge satt war, räumte er das Geschirr zusammen und ging hinaus in den Garten. Er setzte sich auf die Bank unter dem Holunderbaum und schloss die Augen. Endlich Ruhe, dachte Jorge, danke lieber Gott. Das ist das wunderbarste Geschenk meines Lebens. Doch auf einmal war es mit der Stille vorbei. Über ihm im Geäst des Holunderbaumes begannen sich die Sperlinge zu streiten, wie eh und je. Er vernahm den Ruf eines Eichelhähers im Wald und das feine Singen einer Säge in der Ferne und erkannte, dass er noch immer hören konnte. Schade, dachte er, es wäre zu schön gewesen.

Nach einer Weile kehrte er ins Haus zurück. In der Küche fiel ein Topf scheppernd zu Boden. Er schaute nach, was geschehen war. Krysta stand, den Topf in der Hand, mit dem Rücken zum Herd. Als sie Jorge in der Küchentüre stehen sah, öffnete sie ihren Mund. Jorge beobachtete, wie sie ihm ein Wort nach dem anderen entgegenschleuderte, einen bösen Satz nach dem anderen, minutenlang. Doch nichts, absolut nichts war davon zu hören.

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Petra Koch 10.06.2011

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