Bohnensuppe

Das Telefon klingelte und Ruth, die gerade auf der Veranda die Geranien goss, rannte ins Haus und nahm den Hörer ab.

Hallo?

Ja, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung mit einem melodisch in die Länge gezogenen a.

Guten Morgen, Bobbie.

Guten Morgen, Ruth. Pause. Dann, etwas verzögert:

Magst du Bohnensuppe?

Früher, vor ihrer Scheidung, hatte Ruth oft Bohnensuppe gekocht. Bohnensuppe war eine Stan­dard­mahlzeit gewesen, die mindestens viermal im Monat auf dem Speiseplan stand.

Na klar Bobbie, sagte Ruth, warum?

Ich lade dich zum Essen ein. Um halb zwölf komme ich zu dir rüber und bringe sie mit, was meinst du?

Okay Bobbie, bis halb zwölf. Ich freue mich.

Ruth legte den Hörer auf und griff wieder zur Gießkanne. Sie mochte ihren Nachbarn Bobbie sehr. Bobbie war vor einem Jahr in das kleine Haus nebenan gezogen, das ihm seine Großmutter, die wunderliche alte Mrs. Palmer, hinterlassen hatte. Bobbie arbeitete freiberuflich als Bauingenieur und war viel zuhause. Er war groß, blond, sah ganz passabel aus und war ein guter, aufmerksamer Gesprächspartner. Sie waren gerne zusammen und die Chancen, die Beziehung zu vertiefen, standen nicht schlecht.

Ruth ging in die Küche und stellte das herumstehende Geschirr in die Spülmaschine. Sie deckte den Tisch in der Stube und wartete.

Bobbie war pünktlich. Er kam durch die hintere Türe in die Küche und stellte eine Plastiktüte mit dem Suppentopf ab. Ruth umarmte ihn und gab ihm einen leichten Kuss auf die Backe.

Schön dich zu sehen, sagte sie.

Seine Augen leuchteten. Er nahm den Topf aus der Tüte, trug ihn in die Stube und stellte ihn dort auf dem Tisch ab. Sogar eine alte Zeitung hatte er als Unterlage mitgebracht. Bobbie dachte immer an alles. Sie holte einen Schöpflöffel aus der Küchenschublade. Die Suppe dampfte und Bobbie schöpfte beide Teller voll.

Ruth schnupperte.

Riecht gut, sagte sie, mal schauen wie sie schmeckt.

Sie nahm einen Löffel voll in den Mund.

Hast du die Suppe nach einem Rezept gekocht oder ist es deine eigene Kreation?

Beides, sagte Bobbie. Das Rezept hab ich in Großmutter Palmers handgeschriebenem Kochbuch gefunden und dann hab ich ein paar Kräuter aus der Speisekammer dazugetan.

Schmeckt fein, sagte Ruth und ein paar Sekunden später: nach Speck.

Ja, Speck ist auch drin, antwortete Bobbie und schaute Ruth arglos in die Augen. Die Suppe war wirklich ausgezeichnet. Sie schmeckte toll, ganz anders als Ruths eigene Bohnensuppe. Nur der Speck... Speck machte Ruth Probleme. Sie vertrug kein Pökelsalz. Bobbie wird bald wieder gehen, dachte Ruth, er kriegt dann nichts davon mit. Sie löffelte fleißig.

Ich vertrage keinen Speck Bobbie, sagte sie schließlich doch. Bobbie schaute schuldbewusst.

Mach dir keine Gedanken darüber Bobbie. Ich werde ja wohl keine spitzen Fellohren davon kriegen.

Bobbie grinste.

Willst du den Rest behalten oder soll ich ihn wieder mitnehmen, fragte er, nachdem Ruth den zweiten Teller geleert hatte.

Ich behalt ihn, sagte sie, weil sie Bobbie eine Freude machen wollte.

Magst Du Kaffee?

Bobbie mochte immer Kaffee, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Die Frage war rein rhetorisch. Er nickte.

Okay, sagte Ruth, ich gehe und setz' ihn auf.

Sie nahm den Topf mit der restlichen Suppe und füllte ihn in der Küche in eine Schüssel um. Den Topf spülte sie, stellte ihn zurück in die mitgebrachte Plastiktüte und schaltete die Kaffeemaschine ein.

In Erwartung des Kaffees hatte sich Bobbie auf der Couch niedergelassen. Kaffee auf der Couch hatte sich mittlerweile zu einem kleinen Ritual entwickelt, es verschaffte ihnen eine besondere Form der Intimität. Ruth trug das Tablett herein und setzte sich neben ihn. Er schenkte den Kaffee ein, goss Milch hinein, auch das ein Ritual.

Ruth streichelte seine rechte Hand. Sie mochte seine großen Männerhände. Eigentlich mochte sie alles an Bobbie und er wusste das. Sie redeten über dies und das und verabredeten sich für den nächsten Abend zu einem Kinobesuch in der Stadt.

Ich muss noch einen Auftrag fertig machen Ruth, sagte Bobbie nach einer Stunde, mein Kunde wartet darauf.

In Ordnung, antwortete Ruth. Sie standen auf und Bobbie zog seinen Pullover an, den er vorhin ausgezogen hatte. Sie gingen in die Küche.

Ist die Suppe noch drin, fragte Bobbie, als Ruth ihm die Tüte mit dem Topf in die Hand drückte.

Nein, natürlich nicht. Und der Topf ist gewaschen. Bobbie sah sie fragend an. Du glaubst doch nicht, dass ich den Topf schmutzig da hinein packen würde?

Nein, das glaubte Bobbie nun wirklich nicht. Bobbie ging und Ruth schaute ihm von der Veranda aus nach bis er außer Sicht war.

Der Speck in Bobbies Suppe machte Ruth keine Probleme. Darüber war sie sehr froh. Es war Sonntag und Ruth arbeitete, weil das Wetter gut war, am Nachmittag im Garten. Danach nahm sie ein Bad. Pünktlich zu den Abendnachrichten schaltete sie den Fernseher ein.

Zum Fernsehen brauchte Ruth seit einiger Zeit eine Brille. Als sie die Brillenbügel über die Ohren schob fühlte sie einen stechenden Schmerz. Sie betastete die Stelle mit den Zeigefingern. Da schien eine kleine Wunde zu sein, über jedem Ohr, wie ein Riss. Komisch, dachte sie, ich habe wohl wieder mal ein falsches Shampoo benutzt. Auch falsche Shampoos machten Ruth Probleme.

In der Werbepause zwischen den Nachrichten und dem Film, den sie sich ansehen wollte, machte Ruth den Rest von Bobbies Bohnensuppe heiß, schnitt sich eine Scheibe Roggenbrot ab und aß beides mit Genuss. Die Suppe schmeckte aufgewärmt noch besser als zu Mittag. Bobbie war wirklich ein guter Koch. Gegen Mitternacht war Ruth endlich müde genug, um zu Bett zu gehen. Normalerweise kannte sie keine Einschlafprobleme. In dieser Nacht jedoch wälzte sie sich hin und her und konnte nicht zur Ruhe kommen. Sobald sie sich auf eine Seite drehte, um ihre gewohnte Schlafstellung zu finden, spürte sie einen sonderbaren Druck auf den Ohren, als ob ihr Kopfkissen mit Kieselsteinen gefüllt wäre. Erst gegen Morgen fiel Ruth vor Erschöpfung in einen unruhigen traumlosen Schlaf.

Als der Wecker klingelte, fühlte sie sich wie gerädert. Dennoch streckte sie sich, schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Sie schlüpfte in ihren grünen Morgenmantel, öffnete das gekippte Fenster und atmete tief ein. Das machte sie wach. Nach ein paar Minuten ging sie barfuß hinunter in die Küche, um die Kaffeemaschine zu füllen und ihre Tabletten einzunehmen. Seit ihrer Scheidung vor vier Jahren trank Ruth die erste Tasse Kaffee des Tages immer im Morgenmantel und ging stets erst danach ins Bad, um zu duschen und sich anzukleiden. So auch heute. Sie warf einen prüfenden Blick in den Spiegel über dem Waschbecken und fuhr erschrocken zurück. Ihrer Kehle entrang sich ein hoher spitzer Schrei, der die Fensterscheiben ihres Hauses erzittern ließ. Denn das Bild, das der Spiegel zurückgab, war unmöglich: Ihre beiden Ohrmuscheln waren total mit Fell bedeckt. Und als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, das Fell war rot und stand in einem schrillen Kontrast zu ihrem raspelkurzen schwarzen Haar. Die linke Ohrmuschel war kürzer als die rechte, was darauf schließen ließ, dass sie noch wachsen würde und aus dem zarten roten Flaum standen recht wie links ein paar stachelige weiße Borsten wie Antennen heraus.

Spitze Fellohren, flüsterte sie. Ihre Stimme hörte sich ganz rauh an.

Spitze rote Fellohren, dachte sie. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen starrte sie auf ihr Spiegelbild und konnte nicht glauben, was sie sah: Fellohren, geformt wie die einer Katze, das eine vielleicht sechs, das andere mindestens zehn Zentimeter lang! Die Bohnensuppe, dachte sie, das kann nur von Bobbies Bohnensuppe kommen. Wovon sonst? Habe ich nicht gestern diesen verhängnisvollen Satz gesagt: Mach dir keine Gedanken Bobbie, ich werde wohl keine spitzen Fellohren davon bekommen? Sie starrte in den Spiegel, sie konnte förmlich sehen, wie das linke kürzere Ohr langsam in die Höhe wuchs.

Ich sehe grässlich aus, sagte sie erbost, handgeschriebenes Kochbuch! Sicher hat Bobbies Großmutter beim Aufschreiben des Rezeptes einen Hexenzauber eingeschmuggelt. Hier von einer Zutat eine Prise zuviel und da eine zuwenig beim Nachkochen und schon beginnt der Zauber zu wirken. So ist das doch immer. Dieser Palmer-Sippe ist nicht zu trauen. Wann ist es bei denen je mit rechten Dingen zugegangen?

Ihre Augen sprühten Blitze.

Spitze Fellohren. Sie spuckte diese beiden Worte aus ihrem Mund. Ich habe spitze rote Fellohren, weil ich Bobbies Bohnensuppe gegessen habe. Schließlich wandte sie sich vom Spiegel ab. Ich kann nicht den Rest meines Lebens da hineinstarren und auf einen Gegenzauber warten, dachte Ruth. Sie legte den Morgenmantel ab, stieg in die Dusche und drehte das Wasser auf. Ihre Ohren seifte sie so lange bis sie wie Feuer brannten.

Am späten Vormittag rief sie in Bobbies Haus an. Er schien nicht da zu sein. Sie erinnerte sich an den Kundentermin, von dem er gestern geredet hatte. Bobbie würde wahrscheinlich erst am Nachmittag zurückkehren. So war das immer, wenn er Termine in der Stadt hatte. Die Stadt war etwa vierzig Kilometer entfernt und Bobbie machte, wenn er hinkam, immer noch zusätzliche Besorgungen, weil es in ihrem abgelegenen Dorf keinen vernünftigen Einkaufsmarkt gab.

Um die Mittagszeit hatte die linke Ohrmuschel die rechte im Wachstum eingeholt. Wenigstens das, dachte Ruth. Wenn ich schon mit Fellohren herumlaufen muss, sollen sie wenigstens gleich groß sein. Lustlos, immer wieder unterbrochen durch einen Gang zu den diversen Spiegeln im Haus, verrichtete sie ihre Arbeit und als sie damit fertig war, ging sie in die Speisekammer und überprüfte die Vorräte. Ich werde einen Napfkuchen backen, dachte sie dabei, einen Napfkuchen nach unserem uralten Familienrezept. In dem gibt’s außer Mehl, Hefe, Eiern, Butter, Rosinen und Zucker auch eine geheime Zutat, genau richtig für Bobbie.

Ihre gute Laune kehrte stückweise wieder und sie vergaß, während sie den Teig rührte, ihr Dilemma. Sie schob den Kuchen in den Backofen und schon bald zog ein feiner Duft durchs Haus mit einem süßlich herben Aroma.

Gegen drei Uhr nachmittags hörte sie Bobbies Wagen am Haus vorbeifahren. Der Napfkuchen war erkaltet, sie hatte ihn dick mit Puderzucker bestreut und auf einer Platte mit kleinen blauen Vergissmeinnicht angerichtet. Als sie sicher sein konnte, dass Bobbie im Haus war, ging sie zum Telefon und rief drüben an. Er meldete sich gleich.

Hallo Bobbie. Ihre Stimme klang zuckersüß. Du bist zurück aus der Stadt? Hast Du Zeit?

Ja, sagte er, bin ich, hab ich.

Ich habe einen feinen Napfkuchen für dich gebacken, sagte sie. Ich bringe ihn dir rüber. Machst du uns einen Kaffee?

Immer, antwortete er. Seine Stimme klang fröhlich.

Bis gleich, sagte sie. Ich komme durch den Garten.

Sie legte den Hörer auf, zog ihr schönstes Sommerkleid an und setzte einen hübschen weißen Strohhut auf, der mit einem Band unter dem Kinn gebunden wurde. Wahrscheinlich würde Bobbie, wenn sie sich gegenüberstanden, die Schleife langsam aufziehen und ihr den Hut vom Kopf nehmen, bevor er sie küsste. Die Überraschung würde perfekt sein. Sie holte den Kuchen aus der Küche und machte sich auf den Weg. Ein paar Minuten später klopfte sie an Bobbies Küchentür.

Fellohren, dachte sie, lange rote spitze Fellohren. Ich bin verdammt neugierig, was Bobbie dazu zu sagen hat.

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Petra Koch

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