Wenn's draussen schneit

Sacht, fast scheu, fallen einzelne Flocken aus graublaufarbenem Himmel. Sich tausendfach drehend in freudigem Tanz segeln sie auf den Flügeln des Nordwindes durch die kalte, klare Dezemberluft, jede ein Gebilde von unnachahmlicher Schönheit, einzig in ihrer Art und unverwechselbar im Heer der Millionen, die ihr folgen werden.

In fernen Wolkenschlössern aus winzigem Staubkorn geboren, wirbeln sie, ständig wachsend, Kristall für Kristall, durch den unendlich weiten, freien Raum zur Erde und während sie fallen, bricht funkelndes Licht sich im filigranen Muster, strahlt sekundenlang auf, erlischt, funkelt neu. Voll ungebändigter Freude über das Wunder zu Sein, sinken sie zur Erde nieder.

Als klänge aus unsichtbaren Sphären schweigend der Ruf, es den Wenigen gleichzutun, öffnet der Himmel seine Schleusen und entläßt Milliarden und Abermilliarden glitzernder sechsstrahliger Flockensterne auf ihre vorherbestimmte Reise, entläßt sie in einen kurzen wirbelnden Tanz des Lebens.

Und im Bewußtsein Da zu sein, verbinden sie sich zu gemeinsamem Tun, weben stetig und still, Stern für Stern, das silberweiße endlose Tuch für den Mantel aus Kälte und Schlaf und Tod, werden zu Boten des Winters, des stummen Vollenders der Jahreszeiten, dessen Herrschaft kundzutun seit jeher ihre Bestimmung ist. In unermüdlichem Spiel zaubern sie blanke Spiegel auf Seen und Teiche, auf Bäche und Flüsse, legen sich zuckerwatte-weich auf Bäume und Sträucher, auf Felder und Wiesen und verwandeln die herbstmüde, farblos gewordene Erde in eine reine, geheimnisumwobene Wintermärchenwelt.

Noch während sie so, eingesponnen in emsiges Tun, ihren inneren Auftrag erfüllen, klingt von den Ufern jenseits der Zeit die Botschaft von der nahen Geburt des Sonnenkindes, und mit dem Emporsteigen des Lichtes aus der Dunkelheit umweht Stern für Stern, Kristall für Kristall der heiße Atem des Todes. Doch hinsterbend werden sie, in der Zeit des zunehmenden Jahres im Wandel ihrer Gestalt zu unzähligen Wassertropfen, die geeint zu Rinnsalen im Erdreich versickern, eintretend in den großen, ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, bis sie, wie tausende Male zuvor, in eisiger Höhe wiedergeboren, erneut silbern und sternengleich zur Erde niedersinken, in einem neuen, fernen Winter.

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Petra Koch

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