Die Renovierung
Wir sollten die Küche mal wieder streichen. Meinst du nicht, Erwin?
sagt Helene kurz vor Ostern zu ihrem Angetrauten, sie sieht richtig schäbig aus.
Sie sitzen beim Frühstück. Erwin schaut kurz von seiner Zeitung auf, knurrt, die ist noch gut
und widmet sich wieder seiner Lektüre.
Ich meine es ernst Erwin,
sagt Helene. Schneiders renovieren ihre Wohnung alle drei Jahre und wann haben wir so was zuletzt gemacht?
Eine Woche vor unserer Hochzeit, Helene,
antwortet Erwin, und jetzt lass mich lesen.
Ja,
sagt Helene, und gedrückt hast du dich damals schon. Schwager Hugo und Vater, beide hab Gott selig, haben die ganze Arbeit alleine gemacht.
Du wärmst alte Kamellen auf,
zischt Erwin ungehalten, die Küche ist noch gut, basta.
Du weißt aber schon, dass wir im Oktober 25 Jahre verheiratet sind oder hast du es vergessen?
Helene lässt nicht locker. Küche streichen ist mittlerweile eines ihrer Lieblingsthemen.
Erwin sagt nichts. Stattdessen steht er auf, trinkt den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse, nimmt die Zeitung und verzieht sich aufs Klo.
Zugegeben, die Küche, ebenso wie der Rest der Wohnung, zeigt den schäbigen Charme der späten siebziger Jahre und auf der ehemals weißen Raufasertapete liegt ein milder brauner Schleier vom Rauch der vielen Zigaretten, die sich Erwin bis zu seiner Herzattacke vor zwei Jahren täglich gegönnt hat.
Erwin ist Oberinspektor in der Kreisverwaltung und in seinem Beruf kompetent, doch handwerklich völlig unbegabt. Er hat es noch nie geschafft, auf Anhieb einen Nagel gerade in die Wand zu schlagen und so ist es kein Wunder, dass er sich verdrückt und erst aus dem Klo herauskommt, als er hört, dass Helene die Wohnungstüre hinter sich zuzieht, um einkaufen zu gehen.
Es wird Mai und Juni und Helene bringt das Thema immer öfter zur Sprache. Erwin findet das ungeheuer nervig und hört nicht mehr hin.
Ende Juli sagt Helene: Wenn du im September Urlaub hast, könnten wir gemeinsam die Küche streichen. Das dauert höchstens zwei Tage mit aus- und einräumen.
Erwin schüttelt den Kopf.
Was sollen die Verwandten denken, wenn sie zu unserer Silberhochzeit anreisen und sehen, wie es bei uns aussieht,
schimpft Helene. Da sind wir doch echt blamiert. Ich lasse mich scheiden, wenn du nicht endlich in die Gänge kommst.
Helenes Drohung fährt Erwin in die Knochen.
Erwin gehört zu der Sorte Mann, die nie im Haushalt hilft, weder kochen noch ein Hemd bügeln kann und in allen Ehejahren keine zehn Mal den Müll nach unten zur Tonne getragen hat. Ohne Helene und ihre Rundumversorgung fühlt Erwin sich hilflos.
Mitte August schlägt Helene vor, einen Maler zu beauftragen, aber darauf lässt Erwin sich ebenfalls nicht ein. Er findet, dass alle Handwerker zu teuer sind.
Ich habe keine Lust, mein sauer verdientes Geld aus dem Fenster zu werfen,
argumentiert Erwin.
Dann streichst du eben selbst,
meint Helene erbost.
Mein Gott Frau, lass mich doch endlich in Ruhe mit dem Kram,
giftet Erwin.
Ab sofort herrscht eisiges Schweigen zwischen den beiden. Erwin geht Helene aus dem Weg. Helene ihrerseits sucht nach einer Lösung für das leidige Renovierungsproblem. Sie beschließt, einige Tage zu ihrer Schwester Emma zu fahren und Erwin alleine zu lassen, damit der zur Besinnung kommt. Emma wohnt in einem ländlichen Vorort der Stadt, ist seit einigen Jahren verwitwet und freut sich immer über Helenes Gesellschaft.
An Erwins drittem Urlaubstag, einem Freitag, packt Helene ganz früh am Morgen ihren Koffer und stellt ihn demonstrativ vor die Korridortür. Erwin, der die Tageszeitung aus dem Briefkasten holen will, sieht den Koffer und fragt Helene ironisch:
Was soll das denn, ziehst du aus?
Nein,
sagt Helene aufgebracht, ich ziehe nicht aus, noch nicht, ich besuche Emma und ich komme erst zurück, wenn du die Küche gestrichen hast, keinen Augenblick vorher. Ich bin es leid ständig zu betteln. Du wirst also ohne mich zurechtkommen müssen. Es liegt alleine an dir, wie lange es dauert.
Helene nimmt den Koffer und geht.
Das hat Erwin nicht erwartet. Er lässt die Zeitung zu Boden fallen und setzt sich aufs Sofa. Die Frau meint was sie sagt, denkt er und er weiß, wenn Helene so reagiert wie eben, ist die Lage sehr ernst. Die Küche streichen, meine Güte, dazu hab ich aber auch gar keine Lust,
mault er vor sich hin.
Helene hat weder gekocht noch eingekauft und so gibt es zu Mittag für Erwin nur zwei Scheiben Graubrot mit Himbeermarmelade und eine Tasse Malzkaffee. Erwin ist sauer auf Helene und er grübelt, wie er sich aus der Affäre ziehen kann. Dann hat er eine Idee: Er holt das gelbe Branchenverzeichnis aus dem Regal im Flur und notiert sich die Telefonnummern verschiedener Malerfirmen aus seiner Wohngegend. Am Spätnachmittag hat er alle angerufen, sein Anliegen vorgetragen, gebettelt und gefleht. Er, der jeden Cent dreimal umdreht bevor er ihn ausgibt, hat sogar angeboten, den doppelten Preis zu bezahlen, wenn doch nur gleich ein Handwerker erschiene, hat aber nur Absagen bekommen. So kurzfristig hieß es, könne niemand einen Termin ansetzen. Rufen sie in ein paar Wochen wieder an. Erwin ist verzweifelt und der Tag ist ihm gründlich verdorben.
Am Samstagmorgen geht Erwin um neun Uhr früh in den Baumarkt und kauft einen Eimer weiße Farbe, eine Rolle, einen Verlängerungsstiel, ein Abstreifgitter, eine Rolle Malerkrepp und eine große Plane, mit der er den Küchenboden abdecken will.
Weil Erwin in seinem ganzen Leben noch nie in einem Baumarkt war, findet er sich nicht zurecht und der Einkauf dauert endlos lange. Schließlich hat er seine Ware beisammen und fährt nach Hause. Er ist müde und legt sich erst mal aufs Sofa, wo er einschläft und erst kurz vor der Tagesschau wieder aufwacht. Erwin geht zum Kühlschrank um sich eine Flasche Pils zu holen und ihm fällt ein, dass er eigentlich am Vormittag noch beim Getränkemarkt vorbeifahren wollte.
Am Sonntag steht Erwin sehr früh auf. Er rückt die Möbel von der Wand, klebt Türrahmen und Fußleisten ab und legt die Plane aus. Der Tag wird heiß. Gegen 10.00 Uhr zeigt das Thermometer bereits 29 Grad im Schatten. Erwin will schnell fertig werden. Die Küchendecke hat er um diese Zeit bereits gestrichen, es geht besser als er dachte. Er lässt das Mittagessen ausfallen und holt stattdessen die letzte eiskalte Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Dann macht er weiter und obwohl auf seinem karierten Hemd, der alten blauen Hose und seinen Haaren fast genau soviel Farbe zu finden ist wie auf den Wänden, ist er mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Gegen 15.00 Uhr ist er fertig. Draußen sind es jetzt 35 Grad. Erwin hat Durst und trinkt zwei Gläser Leitungswasser, weil sonst nichts anderes da ist. Er räumt das Werkzeug fort, wäscht Rolle und Gitter aus. Den fast leeren Farbeimer stellt er auf den Balkon. Um 16.00 Uhr hat er alles picobello aufgeräumt. Sein Rücken schmerzt, er ist erschöpft. Seine Handflächen sind dunkelrot und fühlen sich heiß an, aber Erwin holt den Wischeimer und den Schrubber und putzt die Küche. Danach duscht er lange und ausgiebig, denn die Farbspritzer auf seinen Haaren, im Gesicht und auf den Armen sind schwer zu entfernen. Nach der Dusche setzt er sich aufs Sofa, zieht den Telefonhörer zu sich heran und wählt Emmas Nummer. Als Emma abhebt, fragt Erwin nach Helene. Die will Erwin nicht sprechen. Er hört wie sie im Hintergrund zu Emma sagt: Mit dem Kerl rede ich erst wieder, wenn er die Küche renoviert hat, sag ihm das, Schwesterherz.
Emma richtet es Erwin aus und Erwin antwortet:
Na dann kann sie ja gleich kommen, die Küche ist nämlich renoviert. Sieht ganz toll aus.
Ja, Erwin ist richtig stolz und glücklich, dass die Sache so prächtig gelungen ist. Hab ich also doch keine zwei linken Hände, denkt er.
Um 18.30 Uhr hat Erwin Hunger. Weil er nicht das sechste Mal Himbeermarmelade auf Graubrot essen will und sonst nichts im Kühlschrank ist, geht er in den Keller und schaut im Regal mit dem Eingemachten nach etwas Essbarem. Dieses Eingemachte stammt von Emma, die einen großen Schrebergarten voll mit Gemüse, Obstbäumen und Beerensträuchern besitzt und jedes Jahr reihum die ganze Verwandtschaft damit versorgt. Erwin schaut sich an, was alles da ist und entscheidet sich für Sauerkirschkonfitüre. Auf einem Regalbrett stehen drei Flaschen mit Holunderblütensirup und eine Flasche Heidelbeersaft aus dem Vorjahr. Erwin liebt Heidelbeeren. Als er ein Kind war hat seine Mutter samstags immer Hefeklöße mit Heidelbeerkompott für ihn gekocht, sein Lieblingsessen. Deshalb nimmt er die Flasche und die Konfitüre mit nach oben.
Im Küchenschrank greift er nach dem größten Glas, füllt es zwei Finger hoch mit Leitungswasser und wirft drei Eiswürfel hinein. Er will das Glas mit dem Heidelbeersaft auffüllen. Aber die alte Flasche mit der Gummikappe über dem Korken will nicht aufgehen. Erwin dreht und schüttelt, er klemmt sich die Flasche zwischen die Knie und zerrt am Verschluss. Erwins Gesicht ist hochrot vor Anstrengung, doch nichts bewegt sich. Nach ein paar Minuten vergeblichen Bemühens knallt er die widerspenstige Flasche zornig und mit einem gewaltigen Fluch auf den Lippen auf den Küchentisch - und siehe da, jetzt löst sich wie von Zauberhand die Gummikappe. Der Korken zischt aus dem Flaschenhals und der gärende Heidelbeersaft jagt aufwärts wie eine Silvesterrakete, in einer breiten, blauschwarzen Fontäne. Tausende dunkle Sprenkel und Schlieren hinterlässt er in der noch feuchten weißen Farbe der Küchendecke und der Wände.
Erwin ist fassungslos. Er ringt nach Luft und fängt an zu schreien. Wütend wie niemals zuvor fegt er mit der linken Hand die halbleere Flasche zur Seite. Die knallt an den Küchenschrank, hinterlässt auch dort ihre nassen Spuren und kullert, sich nun völlig entleerend, über den frisch geputzten Küchenboden.
Nein, nein , nein,
schreit Erwin hysterisch, nein, nein, nein!
Und seine Fäuste knallt er dabei auf den Esstisch, als wollte er ihn zertrümmern.
Weil Erwin solchen Lärm veranstaltet, entgeht ihm, dass Helene nach Hause gekommen ist. Sie steht an der Küchentüre, registriert das Desaster und beobachtet amüsiert Erwin's Wutausbruch. So etwas, denkt sie, kann doch nur meinem Erwin passieren.