Die Geschichte vom Weihnachtsengelchen,
das seinen Zauberspruch vergaß
Es war einmal ein Engelchen, das spielte im Himmel auf einer Wolke, wie Petrus es geheißen hatte. Es spielte und sah dabei auf den Himmelspalast, der mitten in einem großen Wolkengebirge lag und in den schönsten Farben strahlte. Und wenn das Engelchen hinübersah in dieses Leuchten, wurde es von Tag zu Tag neugieriger wie es wohl darin aussähe. Eines Tages, in der Vorweihnachtszeit, verließ das Engelchen seine Spielwolke und ging durch das große offene Tor hinein in den Palast. Leise und vorsichtig schlich es durch die vielen goldglänzenden Flure. Immer wenn ihm jemand entgegen kam, versteckte sich das Engelchen und sobald es wieder alleine war, lief es weiter, bog um eine Ecke und noch eine Ecke und stand auf einmal vor der großen goldenen Türe zum Thronsaal, wo der liebe Gott wohnte. Diese Türe war einen Spalt weit offen. Das Engelchen legte sein Ohr an die mächtige Tür und lauschte. Es hörte das Durcheinander vieler Stimmen. Während das Engelchen noch andächtig lauschte und sein Herz vor Neugier und ein bisschen Furcht laut und vernehmlich klopfte, weil es ja etwas Verbotenes tat, da kam der Apostel Petrus mit einem dicken silbernen Buch unter dem Arm direkt auf die Türe zum Thronsaal zu. Der liebe Gott hatte Petrus nämlich beauftragt, ihm dieses Buch zu bringen. Als das Engelchen den Petrus sah, bekam es ein schlechtes Gewissen, denn es sollte ja auf seiner Wolke sitzen und spielen. Es wollte sich verstecken, aber ringsum gab es keine einzige offene Türe, hinter der es hätte verschwinden können. Weil das Engelchen so klein war, krabbelte es schnell durch den Türspalt in den Thronsaal und versteckte sich hinter einer Marmorsäule. Petrus ging an ihm vorbei, ohne es zu sehen. Er brachte das silberne Buch zum lieben Gott, der auf seinem Thron saß und leuchtete wie ein wunderschöner Regenbogen. Alle Engel in dem Saal hielten den Atem an, als Petrus an ihnen vorbeiging und waren ganz still. Der liebe Gott schaute das Buch an.
Danke Petrus,
sagte der liebe Gott, wollen wir nun dieses Buch aufschlagen, in dem Du das ganze Jahr aufgeschrieben hast, welche Kinder auf der Erde brav und welche unartig waren und dann werden wir zusammen mit dem Weihnachtsmann und dem Christkind und all den vielen Engel-Helfern hier im Saal die Geschenke für die Kinder auswählen.
Das kleine Engelchen lauschte und lauschte. Der Weihnachtsmann ging die vielen Stufen zum Thron hinauf und setzte sich an einen Tisch, der daneben stand. Der Weihnachtsmann zog eine große Gänsefeder aus seiner rechten Manteltasche und ein Tintenfässchen aus der linken. Er schraubte den Deckel ab und steckte umständlich die Gänsefeder in das Fässchen. Dann holte er ein großes Schreibheft aus einer Schublade. Es war mucksmäuschenstill im Saal, nur die Feder kratzte über das Papier. Der Weihnachtsmann schrieb auf, welches Geschenk ein Kind erhalten sollte. Das dauerte sehr lange, denn bevor er schrieb, zog das Christkind einen Zettel nach dem anderen aus einer Holzkiste, die zu seinen Füssen stand. In dieser Kiste waren alle Wunschzettel, die die Kinder in der Vorweihnachtszeit geschrieben und vor die Fenster gelegt hatten. Die Engelchen, die schon in die Himmelsschule gingen, hatten sie Nacht für Nacht überall auf der Welt eingesammelt und so war die Kiste ganz voll. Aber schließlich waren alle Wünsche aufgeschrieben, alle Geschenke zugeteilt. Der liebe Gott wischte mit seiner Hand über die Seiten des silbernen Buches. Das war auf einmal wieder ganz leer. Er klappte es zu, reichte es an Petrus zurück und sagte:
Wir sind fertig für dieses Jahr.
Der Weihnachstmann stand auf, nickte dem Christkind zu und sagte zu den vielen großen Engeln, die im Thronsaal versammelt waren:
Jetzt könnt ihr die Geschenke auf meinen großen Schlitten packen, damit ich rechtzeitig zum Heiligen Abend bei den Kindern bin und ihr könnt uns, wie in jedem Jahr, helfen sie zu verteilen.
Da erhoben sich die großen Engel von ihren Stühlen und klatschten in die Hände und dann verließen sie ihren Platz und gingen langsam hinter Petrus und dem Weihnachtsmann, der das Christkind an der Hand gefasst hatte, aus dem Thronsaal.
Als der letzte Engel, es war ein Cherubim, an der Marmorsäule vorbeikam, hinter der sich unser kleines Engelchen versteckt hatte, da breitete er seinen rechten Flügel aus, wohl weil es ihn ein wenig darunter juckte und eine der Federn kitzelte das Engelchen an der Nase. Das wollte sich die Nase zuhalten, aber der Niesreiz war zu stark. Da machte es laut Hatschi und noch einmal Hatschi und das Hatschi schallte wie ein Posaunenchor in dem großen himmlischen Thronsaal. Der liebe Gott, der gerade ein Nickerchen machen wollte, schaute sich verwundert um, wo das Geräusch wohl herkäme und weil er ja alles sieht was irgendwo auf der Erde oder im Himmel passiert, entdeckte er unser kleines Engelchen sofort. Das wollte weglaufen, aber der liebe Gott rief: Komm her zu mir, du kleiner neugieriger Naseweis, ich bin sicher du hast gelauscht.
Das kleine Engelchen wünschte sich ganz weit weg auf seine Spielwolke, aber das nützte nichts. Denn der liebe Gott streckte seine Hand aus und zog das Engelchen hinter der Säule hervor. Und nun sag mir, was du gehört hast,
sagte er zu dem Engelchen. Das Engelchen bekam einen ganz roten Kopf, aber weil die Augen des lieben Gottes nicht zornig sondern ganz lieb guckten, da fasste es sich ein Herz und antwortete: Ich habe gehört, wie ihr den Kinder auf der Erde die Geschenke zugeteilt habt. Ich will auch mitmachen. Ich will nicht immer nur auf meiner Spielwolke sitzen, das ist so langweilig. Ich will eine richtige Aufgabe haben. Bitte lieber Gott, lass mich auch helfen.
Der liebe Gott dachte nach. Du bist noch viel zu klein,
sagte er, du kannst keine großen Geschenke tragen und außerdem bist du ein bisschen schusselig und vergisst noch vieles.
Ich möchte aber doch,
jammerte das Engelchen, bitte, bitte.
Und der liebe Gott kratzte sich am Ohr und dachte wieder nach.
Unten auf der Erde aber gab es zwei Kinder, Adrian und Marie, die hatten sich jeder ein Hochbett vom Christkind gewünscht. Sie hatten es auf Zettel gemalt und wie alle anderen Kinder hatten sie diese Wunschzettel auf die Fensterbank gelegt. Ein Engel hatte die Wunschzettel abgeholt und zusammengefaltet, weil die Kinder Geschwister sind. Aber vorhin, als das Christkind einen Wunschzettel nach dem anderen aus der Kiste zog, da rutschte dieser Zettel heraus und fiel zu Boden. Das Christkind hatte das nicht gemerkt. Während der liebe Gott darüber nachdachte, ob er das kleine Engelchen gegen alle Regeln dem Weihnachtsmann als Helfer zuteilen sollte, da sah sich das Engelchen ein bisschen um und fand den Zettel.
Es kroch unter den Tisch, hob ihn auf und reichte ihn hinauf an den lieben Gott.
Da ist ein Wunschzettel aus der Kiste gefallen lieber Gott,
sagte das Engelchen zaghaft.
Jetzt wird das Kind, das ihn geschrieben hat, das Falsche zu Weihnachten bekommen und traurig sein.
Der liebe Gott nahm dem Engelchen den Wunschzettel ab, faltete ihn auf sah, dass es nicht nur einer,
sondern sogar zwei waren. Ich glaube,
sagte er, da ist uns ein Fehler passiert, den müssen wir ganz schnell wieder beseitigen. Aber wie? Was meinst du?
Was wünscht sich das Kind denn,
fragte das Engelchen. Es sind zwei Kinder,
antwortete der liebe Gott. Sie heißen Adrian und Marie und sie wünschen sich jeder ein Hochbett vom Weihnachtsmann.
Ein Hochbett,
jammerte das Engelchen, aber ein Hochbett ist schwer und groß, das kann doch niemand tragen.
Und zwei erst recht nicht. Und sie passen auch nicht in den Sack vom Weihnachtsmann.
Weißt du,
antwortete der liebe Gott, es gibt so viele Kinder auf der Welt und selbst wenn jedes nur ein Geschenk bekäme,
wäre der Sack des Weihnachtsmannes riesengroß und so schwer,
dass die Rentiere den Schlitten selbst in der Heiligen Nacht nicht ziehen könnten.
Deshalb und das ist ein Geheimnis, das du für dich behalten musst, wird jedes Geschenk im Himmel ganz klein gezaubert.
Wenn das Christkind, der Weihnachtsmann oder einer der Engel, die ihm helfen, das Geschenk vor den geschmückten Baum in die Stube legen,
sprechen sie einen Zauberspruch und das Geschenk wird dann wieder so groß, dass die Kinder damit spielen können oder, nehmen wir als Beispiel hier die Hochbetten, die werden dann so groß, dass Adrian und Marie darin schlafen können.
Aber die beiden bekommen doch jetzt gar kein Hochbett, weil der Weihnachtsmann den Zettel nicht gesehen und den Wunsch nicht aufgeschrieben hat.
Du hast recht,
sagte der liebe Gott, das müssen wir schleunigst ändern. Ich weiß auch wie.
Das kleine Engelchen hielt den Atem an.
Du, liebes Engelchen, wirst den Kindern die Hochbetten bringen. Wir zaubern sie so klein,
dass sie in deine Händchen passen und wenn du dann in der Wohnung der Kinder bist,
sprichst du deinen Zauberspruch und husch, husch sind die Bettchen groß. Was meinst du?
Oh ja,
freute sich das Engelchen,
so machen wir es.
Und es begann, von einem Bein aufs andere zu hüpfen.
Oh ja, oh ja,
sagte es immer wieder und es fühlte sich auf einmal sehr wichtig.
Dann lerne deinen Zauberspruch,
sagte er liebe Gott und flüsterte ihn dem Engelchen ins Ohr, denn es war ein ganz besonderer Spruch, den kein Mensch hören oder aussprechen darf, deswegen kann ich ihn hier auch nicht aufschreiben. Und das Engelchen hörte genau hin und wiederholte ihn.
Aber, und das ist ganz wichtig,
sagte er liebe Gott mahnend mit erhobenem Zeigefinger, dieser besondere Zauberspruch darf in der Heiligen Nacht in der Wohnung der Kinder nur dreimal ausgesprochen werden, sonst wirkt er nicht mehr, vergiss das nicht.
Ich vergesse es nicht, lieber Gott,
sagte das Engelchen. Ich werde fleißig üben.
Der liebe Gott griff hinter sich und hatte auf einmal zwei winzig kleine Hochbetten aus Kiefernholz in seiner Hand. Er gab sie dem Engelchen und sagte: Morgen ist Heiligabend, da bringst du sie den Kindern. Ich werde dem Weihnachtsmann Bescheid sagen, wenn ich ihn treffe.
Und dann sagte der liebe Gott dem Engelchen noch wo die Kinder wohnen und bat es, den geheimen Zauberspruch niemandem zu verraten und ihn auch nicht zu vergessen. Bei sich selbst aber dachte er: Ich weiß nicht so recht, das Engelchen ist zu klein für einen solch wichtigen Auftrag, es ist noch zu verspielt und außerdem vergesslich. Hoffentlich geht alles gut. Das Engelchen aber setzte sich wieder auf seine Spielwolke, schloss seine Äuglein und sagte den Zauberspruch bestimmt tausendmal und mehr vor sich hin um ihn zu lernen. Und die winzigen Hochbettchen hatte es neben sich gestellt und passte auf, dass sie nicht von der Spielwolke herunterfielen.
Am Heiligen Abend war das Engelchen sehr aufgeregt. Es hatte ein besonders schönes, langes weißes Kleidchen angezogen mit großen Taschen, in dem es die beiden Hochbettchen versteckte. Und weil es sich nicht verspäten wollte, machte es sich früh auf den Weg zur Erde. Es fand auch gleich das Haus, in dem die Kinder wohnten, setzte sich auf die Fensterbank vor Adrians Kinderzimmer und wartete. Geh erst in die Wohnung, wenn es dunkel ist, wenn alle entweder in der Kirche sind oder schlafen,
hatte der liebe Gott ihm gesagt, du bist zwar unsichtbar für Menschenaugen, trotzdem darf niemand merken, dass du da bist.
Und so wartete das Engelchen und weil es das erstemal in der Menschenwelt war, schaute es herunter auf die Straßen. Es sah die Autos, die kamen und wegfuhren und die Straßenbahnen und die vielen Leute, die aus- und einstiegen und es hörte auf, seinen Zauberspruch zu lernen.
Endlich wurde es ein wenig dunkel. Die beiden Kinder und die Eltern zogen sich für den Kirchgang an und verließen das Haus. Als das Engelchen sicher war, dass niemand mehr in der Wohnung war, huschte es durch die geschlossene Fensterscheibe, denn Engelchen können das und ging gleich ins Wohnzimmer. Da stand der Weihnachtsbaum in seiner ganzen Pracht. Das Engelchen staunte mit offenem Mund, denn es war ja noch so klein, dass es noch nie einen geschmückten Tannenbaum gesehen hatte. Es schaute in die Kugeln, die am Baum hingen und sah sich darin. Das war lustig. Es steckte die Zunge heraus und zog Fratzen und als es genug gesehen und Schabernack getrieben hatte, da machte es eine Runde durch das Wohnzimmer. Das Engelchen entdeckte die Krippe nahe bei der Türe. Es nahm das Eselchen in die Hand, streichelte sein weiches Fell und konnte damit gar nicht aufhören. Es schaute sich alles an und vergaß dabei, warum es gekommen war. Seine Neugier war so groß! Es hockte sich auf den Boden und blätterte alle Bilderbücher durch, die es auf dem untersten Brett im Regal fand. Als das Engelchen genug gelesen hatte, wanderte es wieder im Zimmer herum. Da ist ja eine Schale mit den Plätzchen auf dem Tisch, dachte es. Und es probierte davon, erst ein Butterplätzchen, dann ein Vanillekipferl, eine Kokosmakrone, einen Nusstaler, noch ein Plätzchen, am liebsten hätte es den ganzen Teller leergenascht. So sehr war das Engelchen in sein Tun vertieft, dass es gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Und seinen Auftrag hatte es völlig vergessen. Gerade, als es sich wieder besann, dass ja Heiliger Abend war, in dem Moment, als ihm sein Auftrag wieder einfiel und es mit seinen kleinen Engelhändchen die beiden winzigen Bettchen aus den Taschen seines weißen Kleidchens holen wollte, da hörte es Stimmen und ein Geräusch an der Eingangstüre. Das Engelchen bekam einen riesigen Schreck. Schnell lief es in den Flur und erst in Adrians und dann in Maries Zimmer. In der Eile und aus Angst entdeckt zu werden, konnte es sich nicht entscheiden, wo es zuerst seinen Zauberspruch aufsagen und ein Bettchen groß machen sollte. Das Engelchen hörte wie die Kinder vor der Türe die Schuhe auszogen. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Wohnungstüre ging auf. Da wurde das Engelchen, obwohl es doch unsichtbar war, ganz zappelig und nervös. Der Zauberspruch, der dumme Zauberspruch fuhr in seinem Kopf hin und her und alle Worte verdrehten sich und purzelten durcheinander. Jetzt kam jemand in den Flur.
Mama war der Weihnachtsmann schon da?
hörte das Engelchen die kleine Marie rufen. Da sagte das Engelchen, das wieder in Adrians Zimmer gelaufen war, den Zauberspruch auf, wie er ihm gerade in den Sinn kam, aber es sagte ihn falsch herum auf und das erste Bettchen blieb klein. Es wurde auch nicht das winzigste Stück größer. Das Engelchen rannte zurück in Maries Zimmer, hielt das zweite Bettchen in der Hand und sagte wieder den Zauberspruch auf, diesmal ein bisschen anders, aber er war wohl wieder falsch, denn auch das zweite Bettchen blieb so winzig wie es war.
Jetzt waren alle in der Wohnung, der Vater, die Mutter und beide Kinder. Das Engelchen sagte das dritte Mal seinen Zauberspruch, mitten in Maries Zimmer, da kam das kleine Mädchen herein und stürmte mitten durch das Engelchen hindurch. Noch einmal sagte das Engelchen den Zauberspruch auf und noch einmal. Doch wie es die Worte auch hin und her drehte, die Bettchen in seinen Händen blieben klein. Da erinnerte sich das Engelchen daran, was der liebe Gott gesagt hatte: Dieser besondere Zauberspruch darf in der Heiligen Nacht nur dreimal ausgesprochen werden, sonst wirkt er nicht mehr, vergiss das nicht.
Oh weh, ich bin so dumm, so furchtbar dumm,
jammerte das Engelchen, nichts funktioniert.
Und es wurde sehr traurig.
Auf einmal zog etwas ganz fest an seinem Kleidchen. Das Engelchen steckte die winzigen Bettchen schnell zurück in seine Taschen. Dann merkte es, dass es hochgehoben wurde, höher und höher und im nächsten Augenblick saß es wieder auf seiner Spielwolke und die Menschenwelt war fort.
Im nächsten Jahr, wenn ich dem Weihnachtsmann und dem Christkind wieder helfen darf, werde ich besser aufpassen dachte es und es richtig machen. Ich bin nur froh, dass der Weihnachtsmann noch andere Geschenke in seinem Sack mitgenommen hat für Adrian und Marie. Es wäre doch zu schade, wenn sie wegen mir gar nichts bekämen. Alle Kinder bekommen Geschenke zu Weihnachten. Morgen bringe ich dem lieben Gott die kleinen Bettchen zurück. Hoffentlich schimpft er nicht mit mir. Ich bin aber auch zu vergesslich.