Wintersonnenwende

or vielen tausend Jahren, in vorchristlicher, archaischer Zeit lebten die Menschen noch tief verbunden mit der Natur. Die Jahreszeiten und das Wandern der Sonne über den Himmel bestimmten den Ablauf ihres täglichen Lebens: Nach der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche wurde die neue Saat ausgebracht und die Hoffnung auf ihr Keimen, Wachsen und Reifen trug die Menschen durch die heißen Tage des Sommers. Die Ernte war Lohn für harte Arbeit und Mühsal und immer wurden nach dem Schneiden des Korns die Feldfeuer angefacht, um der Großen Göttin in ihrer Gestalt als Erdmutter, Dankopfer darzubringen. Nach der herbstlichen Tagundnachtgleiche hieß es bei einem großen Fest Abschied nehmen von den hellen Tagen des Jahres. Denn nun beendete der Sommerkönig, alt und gebrechlich geworden, seine Herrschaft über das Jahr und eine goldene Barke besteigend, segelte er hinsterbend an das andere Ufer, jenseits der Zeit, um auf seine Wiedergeburt zu warten.

er Schleier zwischen den Welten zerriss, die Dunkelheit brach herein, eine endlos lange Zeit, in der es kaum tagte und in denen nur die Sterne am Himmel ein bisschen Licht gaben und die wenigen Talglampen in den Hütten der Menschen und das glimmende Herdfeuer die einzige Licht- und Wärmequelle waren. Die Dämonen der Dunkelheit übernahmen jetzt, da der alte Sonnenkönig gestorben war, die Regentschaft über die Welt und durchstreiften die Länder der Erde auf der Suche nach der Großen Göttin, der Bringerin des Lebens, die das neue Sonnenkind unter dem Herzen trug, dessen Geburt ihre Herrschaft bedrohte.

it dem Wüten der Winterstürme, dem Heulen des Eiswindes, der todbringenden Kälte, legte sich Furcht wie ein dichter Mantel um die Menschen, die Furcht, die Herren der Dunkelheit könnten die Göttin und das Ungeborene finden und töten und die Erde und alles Leben darauf hineinstoßen in ewige Kälte, Schlaf und Tod. Niemals konnten die Menschen in der dunklen Zeit sicher sein, dass neues Säen und Ernten, neues Wachstum in der Natur möglich würde, die das Überleben sicherte. Deshalb beobachteten sie eifrig die Zeichen in der Natur und im Fortschreiten der Zeit bemerkten sie schließlich das Längerwerden der Tage. Dies konnte nur bedeuten, dass die Große Göttin ein neues Sonnenkind gebären würde und so keimte in ihren Herzen neue Hoffnung auf den Sieg des Lichtes. Endlich ging die lange Zeit der Dunkelheit zu Ende. Wintersonnenwende nahte, die Geburt des neuen Sonnenkindes. Welche Freude war das doch! Die Menschen begannen zu teilen, was sie noch besaßen, nun da neues Säen, neues Ernten möglich schien. Sechs Wochen noch Bangen, das winzige Sonnenkind könne sterben — Geburt und Tod lagen so nahe beieinander in jener Zeit. Doch das Sonnenkind gedieh, die kürzer werdenden Nächte und die helleren Tage kündeten sein Wachsen, das Eis schmolz, die Flüsse wurden befahrbar, erstes Grün begann zaghaft zu sprießen, die Natur erwachte aus der Winterstarre.

un erst konnten die Menschen Ihres eigenen Überlebens für eine weiteres Jahr sicher sein: Die Herren des Winters zogen sich, ihrer Macht beraubt, zurück. Denn jetzt war eines gewiss: Zu einem mächtigen Sommerkönig würde das junge Sonnenkind heranreifen und die Erde wiederum mit neuem Leben segnen, bis es nach vielen Tagen alt geworden, erneut die goldene Barke mit den schwarzen Segeln besteigen würde für die lange Reise hinter den fernen Horizont.

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Petra Koch

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